Erfolge bewahren, Akzeptanz erhalten!

Ralf Stegner: Bei den meisten hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Bewältigung der Corona-Pandemie kein Sprint, sondern ein Marathon ist. Der Schutz der Gesundheit eines großen Teils unserer Gesellschaft muss noch über viele Monate Priorität haben.

Bild: Michael August

Rede aus dem Landtag

 

TOP 47: Bericht zu den Beschlüssen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten vom 06. Mai 2020 (Drs. 19/2148)

„Bei den meisten hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Bewältigung der Corona-Pandemie kein Sprint, sondern ein Marathon ist. Der Schutz der Gesundheit eines großen Teils unserer Gesellschaft muss noch über viele Monate Priorität haben. Die Bewältigung der Folgen wird uns über Jahre beschäftigen, die Lehren aus der Pandemie noch viel länger.. Der Umgang mit Corona beginnt zum neuen Alltag zu werden. Nicht nur hier im Plenum sehen wir, wie Anpassungen stattfinden, um trotz aller Vorsicht ein Stück weit Normalität zu ermöglichen. Überall im Land werden die Menschen kreativ und finden Lösungen zur Über- brückung dieser schwierigen Zeit: Musikschulen, die Videounterricht anbieten. Das Restaurant um die Ecke mit dem neuen Lieferdienst. Sportvereine, die innerhalb kürzester Zeit auf neue Vorgaben reagieren und unter Einhaltung strenger Sicherheitsvorgaben die Plätze öffnen können. Das alles macht Mut.

Die Infektionszahlen im Land zeigen, dass wir auf einem guten Weg sind. Dank der Disziplin des Großteils der Menschen – von denen viele bedeutend härtere Einschränkungen hinnehmen müssen als eine Acrylglasscheibe zum Nachbarplatz. Vor allem aber auch, weil die Maßnahmen zum Pandemieschutz nach wie vor auf große Akzeptanz stoßen – das zeigen alle Umfragen. Und das allen Verschwörungs-theorien und aller Wirrheit im Netz zum Trotz. Dafür können wir alle gemeinsam dankbar sein. Und es ist auch ein Verdienst unserer Presse, über die wir morgen noch sprechen werden. Aber Beispiele wie das des Schlachthofs in Bad Bramstedt zeigen auch, wie viel Vorsicht nach wie vor geboten ist. Wir beobachten auch mit Sorge die Entwicklungen in Heimen.

In kurzer Zeit können wenige Infizierte die Zahlen extrem schnell nach oben treiben. Darum muss immer wieder betont werden: Die Situation bleibt ernst. Alles, was wir beschließen, muss regelmäßig auf den Prüfstand, wir müssen die Infektionszahlen genau im Blick behalten, damit es in keinem Bereich zu unkontrollierten Verbreitungen kommt und uns keine Maßnahme auf die Füße fällt. Der gestern beschlossene Bremsmechanismus, mit dem regional auf neue Ansteckungshotspots schnell reagiert werden kann, ist darum eine kluge Regelung. Es ist nicht die Zeit für vorschnelle Entwarnungen. Und darum kann auch gar nicht oft genug daran erinnert werden, dass nach wie vor Abstand, persönliche Hygiene und das Tragen einer Maske für alle, denen es möglich ist, unerlässlich sind. Abstand ist die wahre Nähe!

Es geht darum, zwei Dinge nicht zu gefährden: die bisherigen Erfolge im Kampf gegen die Pandemie einerseits und die Akzeptanz der Menschen andererseits. Denn klar ist: Es wird noch lange Zeit kein Zurück geben können zu dem, was für uns bis März Normalität war. Einige Bereiche unseres Lebens werden sich vielleicht sogar für immer ändern. Corona zeigt, wie wichtig ein handlungsfähiger starker Staat ist, der nicht nur bei Schönwetter, sondern auch in der Krise funktioniert. Und der zum Beispiel eine öffentliche Krankenversorgung vorhält, die nicht auf Gewinnerzielung getrimmt wird, sondern so aufgestellt ist, dass auch in besonderen Zeiten ausreichend Puffer bleibt. Das gilt auch für schädliche Abhängigkeiten von Exporten aus Diktaturen und Billiglohnländern. Dem freien Markt ist Pandemieschutz egal. Uns darf es das nicht sein.

Auch in dieser Woche wurde wieder deutlich, dass Beschränkungen zu lockern in keiner Weise einfacher ist, als sie einzuführen. Und bei jeder Lockerung, Herr Ministerpräsident, sind wir besonders gefordert, die eigene Kommunikation auf den Prüfstand zu stellen. Denn wir müssen verhindern, dass Ankündigungen missverstanden werden können als Aufruf zur falschen Sorglosigkeit. Jede Lockerung bringt auch neue Fragen, ob sich daraus nicht ebenso Lockerungen für andere Bereiche ergeben müssten. Das mag anstrengend sein, aber selbstverständlich sind diese Fragen berechtigt, den wir reden über die größten Beschränkungen unserer Bürgerrechte seit 70 Jahren. Wir können alle miteinander froh sein, in einem Land zu leben, in dem zuerst immer die Fortführung einer Einschränkung und eben nicht ihre Lockerung begründet werden muss – dass dies gestern noch einmal betont wurde, ist sehr richtig.

Und das gilt auch in einer solchen Ausnahmesituation und es gilt trotz der Tatsache, dass Gesundheitsschutz derzeit an erster Stelle steht und weiterhin stehen muss. Als Politikerinnen und Politiker müssen wir Anliegen gewichten. Denn alles gleichzeitig zu öffnen, ist in der derzeitigen Situation eben nicht möglich. Und ja, einige Anliegen sind dringlicher als andere. Für meine Fraktion gilt, dass wir uns zuerst für die einsetzen, die es derzeit am schwersten haben. Darum war uns wichtig, dass Familien endlich wieder aus der Enge so mancher Wohnungen auf die Spielplätze dürfen – es ist gut, dass diese Erleichterung kam. Und Familien müssen wir auch ganz besonders in der jetzt kommenden Phase, in der die Wirtschaft Schritt für Schritt in Gang kommt, im Blick behalten. Ausweitung der Wirtschaft und Ausweitung der Betreuung müssen Hand in Hand gehen. Und unser besonderes Augenmerk muss auch der Frage gelten, ob Familien eine weitere unbürokratische Unterstützung in dieser schwierigen Zeit der Mehrfachbelastung benötigen.

Da muss eine dauerhafte Lösung her. Ich gebe dem Kollegen Sönke Rix völlig recht, der im Bundestag festgestellt hat, dass wir nicht nur das Recht auf Betreuung brauchen, sondern wenn diese Betreuung nicht gewährleistet werden kann, die Familien entsprechende Hilfen bekommen. Zu den besonders Betroffenen gehören zum Beispiel aber eben auch Menschen in Heimen, die in den letzten Wochen aufgrund des Besuchsverbotes enorm belastet waren. Einsamkeit ist konkret und sie tut weh – erst recht, wenn man ohnehin viel alleine ist. Hier zu Lösungen für Besuche zu kommen, mit der die Gefahren trotzdem so weit wie möglich minimiert werden, gleichzeitig Kontakt ermöglicht wird und wir bitteschön nicht vergessen, dass wir über erwachsene Menschen mit eigenem Kopf und dem Recht auf Selbstbestimmung sprechen, das war meiner Fraktion ein besonderes Anliegen – gut, dass es auch hier Fortschritte gibt. Die zweite Gruppe, um die wir uns besonders kümmern, sind alle diejenigen, die derzeit noch härter schuften als ohnehin. Und das oftmals unter Bedingungen und für eine Entlohnung, bei der andere morgens keinen Fuß vor die Tür setzen würden. Ich sage das hier bewusst zum wiederholten Male: Dazu gehört das Personal in der Pflege. Dazu gehören Erzieherinnen und Erzieher, die derzeit unter extrem erschwerten Bedingungen die Notbetreuung aufrechterhalten. Aber dazu gehören zum Beispiel eben auch die Reinigungskräfte, deren Tätigkeit gerne nach wie vor von vielen übersehen wird.

In der aktuellen Debatte darf nicht passieren, dass vor allem diejenigen Gehör finden, die eine große PR- oder Rechtsabteilung haben – zuweilen wundere ich mich dieser Tage schon, mit welcher Verve einige Forderungen in die Debatte getragen werden. Es ist nicht die Zeit, dass sich diejenigen mit der am stärksten ausgeprägten Ellenbogenmentalität durchsetzen. Wer jetzt zuerst an sich selbst denkt – liegt falsch! Eigentlich gilt das immer!

Die letzten Wochen zeigen, dass wir immer dann Akzeptanz verspielen, wenn die Menschen Maßnahmen nicht nachvollziehen können. Wenn zum Beispiel hinter der Landesgrenze plötzlich ganz andere Bedingungen gelten als noch davor. Manche Äußerungen von Ministerpräsidenten galten eher dem innerparteilichen Wettbewerb als der Sache. Und darum sollte der Maßstab auch nach der gestrigen Vereinbarung über mehr Eigenverantwortung der Länder sein: soviel Einheitlichkeit wie möglich – so wenig Regionalität wie nötig. Das gilt insbesondere für die norddeutschen Länder. Damit sollte auch klar sein, dass Überbietungswettbewerbe unter Bundesländern um die plakativste Nachricht vollkommen unangebracht sind. Damit ist wirklich niemandem geholfen. Wir wünschen uns übrigens auch die Rückkehr zu vernünftigen Zuständen an der deutsch-dänischen Grenze und Bewegung in diese Richtung auf beiden Seiten. Die Verständigung von gestern über Lockerungen des Kontaktverbotes und Stufenpläne für die Gastronomie ist ein gutes Zeichen. Wichtig bleibt, dass die Betriebe eine Perspektive bekommen, wie es weitergeht. Ihre diesbezüglichen Ankündigungen, Herr Ministerpräsident, erscheinen vernünftig. Das muss jetzt auch für alle anderen Bereiche gelten, die in regionaler Verantwortung in den nächsten Wochen ausgestaltet werden. Daran werden wir uns gerne weiterhin beteiligen. Wichtig ist, dass die Vorgaben vergleichbar bleiben. Wir dürfen nicht bei ähnlichen Dingen mit zweierlei Maß messen, auch das macht Akzeptanz kaputt.

Deswegen sind wir übrigens auch froh, dass die Regierung hier im Land mit Blick auf die Kirchen und Religionsgemeinschaften noch einmal nachgebessert hat, da gab es zu Recht Unmut. In Schleswig-Holstein sind wir im Großen und Ganzen auf einem guten Weg. Und das gemeinsam, über die Grenzen von Regierung und demokratischer Opposition hinweg. Das gilt auch für den Nachtragshaushalt und die Erweiterung des Nothilfeprogramms. Ich freue mich, dass wir eine ganze Reihe von Punkten unterbringen konnten, die uns wichtig waren. Dazu zählt nicht nur die weitere Erstattung der Betreuungsgebühren, die Unterstützung von bedürftigen Familien bei der Anschaffung von Tablets, sondern auch das Programm für Schaustellerinnen und Schausteller – meine Kollegin Beate Raudies wird darauf heute Nachmittag genauer eingehen. Die Gemeinsamkeiten ändern aber nichts daran, dass wir unserer Aufgabe als Opposition nachkommen. Zum Beispiel, wenn wir kritisieren, dass die Landesregierung just am Wochenende vor der Einführung der Maskenpflicht einen verkaufs-offenen Sonntag ausruft. Das hat nicht nur bei uns, sondern auch bei Gewerkschaften, Beschäftigen und vielen Menschen im Land für ungläubiges Staunen gesorgt.

Und es ist eine gute Nachricht, dass die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig- Holsteiner den kühlen Kopf bewahrt und gezeigt haben, was sie von dieser Idee halten, indem sie zu Hause geblieben sind. Das war eine sehr norddeutsche und sehr richtige Reaktion. Einige stampfen während der Pandemie in kürzester Zeit ein ganzes Krankenhaus aus dem Boden, andere bauen immerhin mitten in der größten Krise des Landes auf sehr robuste Wese und mit schriller Begleitmusik ihr Kabinett um. Das sind beides spontane Konstruktionsmaßnahmen, bei denen ich noch nicht ganz sicher bin, wie Substanz und PR-Gehalt zu bewerten sind. Beim zweiten Punkt zumindest stellen sich viele Fragen von grundlegender Bedeutung und manches wird hoffentlich klarer werden, wenn alle Akten auf dem Tisch liegen und von uns geprüft werden – bis dahin bin ich froh, wenn die Landesregierung sich jetzt wieder auf das Wesentliche in dieser Zeit konzentrieren kann.

Ich wünsche der Innenministerin und dem Justizminister im Interesse des Landes einen guten Start in den neuen Ämtern in einer besonderen Zeit. Und dem ausgeschiedenen Innenminister Hans-Joachim Grote danke ich namens meiner Fraktion für seine Arbeit.
Jede der letzten Wochen war ein Stück weit unvorhersehbar. Ich glaube: Gerade im internationalen Vergleich muss die Politik in Deutschland sich für den Umgang mit diesen besonderen Rahmenbedingungen wirklich nicht verstecken. Und dennoch ist es eine gute Nachricht für unsere Demokratie, dass wir langsam in einen Bereich kommen, der Planung über das Wochenende hinaus ermöglicht, der Zeit für Diskussionen und für Abwägungen lässt. Es liegt an uns, damit verantwortungsvoll umzugehen. Denn von der Ernsthaftigkeit unserer Abwägungen entbindet uns auch die neue Situation in Anbetracht der nach wie vor ganz besonderen Lage in keinem Fall. Lassen Sie uns gemeinsam unsere Verantwortung wahrnehmen.“

 

Ralf Stegner