„Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es gelingen kann, im Interesse der Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf zu einer Regelung zu kommen, die niemanden ausgrenzt, denn genau das verlangt die UN-Behindertenrechtskonvention, hinter der wir alle stehen sollten.“
TOP 16: Zeugnisse für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf (Drs. 19/1207)
„Im Juni 2018 ist eine Neufassung der Zeugnisverordnung in Kraft getreten. Bei der Anhörung, die das Ministerium durchgeführt hat, sind den Beteiligten offenbar wichtige Änderungen entgangen. Den betroffenen Schulen und den Verbänden ist mittlerweile aufgefallen, dass die neue Verordnung zu einer Stigmatisierung einzelner Schülerinnen und Schüler führen wird. Es geht um die neue Vorschrift, dass Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die gar nicht oder nicht in allen Fächern lehrplankonform unterrichtet werden, unabhängig von der Schulart obligatorisch ein Berichtszeugnis sollen und kein Notenzeugnis erhalten dürfen. Das heißt, dass die bisher vorgesehene Möglichkeit, Notenzeugnisse zu erteilen, gestrichen wurde.
Nun sind wir die Letzten, die gegen Berichtszeugnisse grundsätzlich etwas einzuwenden hätten – ganz im Gegenteil. Nicht grundlos haben wir in der letzten Legislaturperiode in der Grundschule die Berichtszeugnisse deutlich gestärkt. Notenzeugnisse können nur Momentaufnahmen des Leistungsstandes sein, der sehr von der Tagesform abhängt. Berichte hingegen schaffen viel mehr Möglichkeiten, die Stärken und Schwächen und vor allem die Entwicklung der Schülerin oder des Schülers in einem Halbjahr darzustellen. Damit machen sie den jungen Menschen, ihren Eltern, aber auch, wenn es sich um Abschlusszeugnisse handelt, denjenigen, die über einen Ausbildungsplatz zu entscheiden haben, deutlich, wo die Schwächen, wo aber vor allem auch die Potentiale liegen.
Nun haben wir aktuell eine Bildungsministerin, die den Notenfetisch anbetet. Bei den Grundschulen hat sie die Notenzeugnisse ab der dritten Klasse wieder verpflichtend eingeführt. Und auch sonst lässt Frau Prien keine Gelegenheit aus, das Hohelied der Beurteilung in Ziffern zu singen. Das ist nicht unsere Auffassung, aber das kann man natürlich vertreten. Wenn man das aber tut, muss man auch konsequent sein, denn ansonsten stigmatisieren sie diejenigen, die als einzige anders behandelt werden. Und man legt die Axt an die Wurzel der Inklusion, wenn man durch eine Ungleichbehandlung der Schüler mit Förderbedarf dafür sorgt, dass sie eine – im Verständnis der Bildungsministerin – Beurteilung zweiter Güteklasse erhalten.
Nicht SPD und SSW sind es, die den logischen Bruch begehen, wie das Bildungsministerium in seiner Pressemitteilung vom 06. Februar unterstellt hat, sondern das Ministerium bricht mit seiner eigenen Philosophie und nimmt ohne jede Not eine Ungleichbehandlung zwischen Schülern mit und ohne Förderbedarf vor. Ich habe an vielen Schulabschlussveranstaltungen teilgenommen und es machte mich immer stolz, wenn an meiner alten Schule wirklich alle Schülerinnen und Schüler – auch die mit Förderbedarf – ihr Zeugnis in der Hand hielten. Gerade für Schülerinnen und Schüler mit Inklusionsbedarf ist es dabei immens wichtig, dass sie sich gleich behandelt fühlen. Klar, gab es immer Zeugnisse mit Sternchennoten, doch die Jugendlichen erhielten ein für sie gleiches Zeugnis, wie alle anderen. Dieses haben Sie den Schülerinnen und Schülern genommen, weil die einen jetzt Berichte und die anderen Noten erhalten. Dieses stigmatisiert genau die, die wir stärken sollen. Die Leidtragenden sind diese Schüler und damit der gesamte Grundsatz der Inklusion, der in Schleswig-Holstein schon viel weiter gediehen war als in den meisten anderen Bundesländern.
Die Koalition wird den Weg sicher nicht mitgehen, das Bewertungssystem unserer Schulen grundsätzlich zu verändern und das Berichtszeugnis, ergänzt durch Noten, zum normalen Weg zu machen, wie es nach unserer Überzeugung pädagogisch sinnvoll wäre. Aber ich hoffe, dass die Koalition unser Angebot annimmt, unseren Antrag in den Bildungsausschuss zu überweisen.
Dort sollten wir eine kleine Anhörung mit den zuständigen Verbänden und Einrichtungen durchführen, um zu erfahren, wie sie diese neue Regelung bewerten. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es gelingen kann, im Interesse der Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf zu einer Regelung zu kommen, die niemanden ausgrenzt, denn genau das verlangt die UN-Behindertenrechtskonvention, hinter der wir alle stehen sollten.“
Ergänzend dazu Bernd Heinemann:
„Die Würde des Menschen findet auch in unserem gültigen Schulgesetz seine Entsprechung. Ich zitiere aus §4 :
„Der Auftrag der Schule wird bestimmt durch das Recht des jungen Menschen auf eine seiner Begabung, seinen Fähigkeiten und seiner Neigung entsprechende Förderung und Ausbildung […]“
Und weiter ist es Aufgabe der Schule, ich zitiere:
„ […] die kognitiven emotionalen, sozialen, kreativen und körperlichen Fähigkeiten unter Wahrung des Gleichberechtigungsgebotes zu entwickeln.“
Und dann geht es im Gesetz um Menschenrechte usw. Jede Schülerin und jeder Schüler hat ein Recht auf individuelle Förderung und das schließt eine passgenaue Rückmeldung zu ihrem Leistungsvermögen ein. Richtig Frau Ministerin, aber genau das gilt eben für alle Schülerinnen und Schüler. Gleichbehandlung!!! Sie haben sich für eine passgenaue Rückmeldung mit Noten als bestes Konzept entschieden. Auch Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf müssen individuell bewertet werden und brauchen passgenaue Bewertungen.
„Sie grenzen aus, sie sorgen für eine Zwangsexklusion.“
Seit langem gibt es in mündlicher und schriftlicher Form eine besondere Form der qualifizierten Rückmeldung. Das Instrument dafür heißt: „Förderplan“. Der genau ist eine ausgiebige Beschreibung der Leistungen und Fördermöglichkeiten bis ins Kleinste. Leistungsvermögen und Entwicklungsziele werden hier systematisch bearbeitet. Exklusion von Schülerinnen und Schülern ist nicht nur überflüssig, sondern diskriminierend. Stellen Sie sich vor Hanna ist 15 und besucht die 8. Klasse mit anerkanntem Förderbedarf Lernen. Hanna fühlt sich wohl in Ihrer Klasse zusammen mit Freunden. Ihre Sonderförderung und die einfacheren Aufgaben in Deutsch und Mathe sind ihr ohnehin unangenehm aber sie will dazu gehören. Jetzt darf sie im Gegensatz zu den anderen Kindern der Klasse keine Noten mehr bekommen, weder in Klassenarbeiten noch im Zeugnis, statt dessen bekommt Sie als exklusives Alleinstellungsmerkmal einen Bericht und kann damit ihr befriedigend für einen weiteren Bildungsweg nicht nachweisen.
Was löst dieser amtliche Stempel bei Hanna aus frage ich Sie, Frau Ministerin. Hanna möchte dazu gehören, wie die Anderen sein. So geht es den Kindern, die mit einem oft seitenlangen Gutachten abgestempelt sind. Wer liest das alles noch, wenn alle anderen die Abkürzung über Noten nehmen müssen. Jedes Kind hat den gleichen Anspruch, steht im Schulgesetz, sie können es nachlesen, aber Sie spalten die Kinder in zwei Gruppen. Hören Sie damit auf Menschen mit Behinderungen zu benachteiligen. Geben Sie den Kindern ihre Würde zurück oder lassen Sie notfalls die Schulkonferenz entscheiden.
Bei der Überweisung in den Ausschuss haben wir die Gelegenheit die Schüler, Eltern, Gewerkschaften, Lehrer*innenverbände und Behindertenverbände zu Wort kommen zu lassen.“